Grußwort des Kulturdezernenten der Bundesstadt Bonn

zur Eröffnung der Ausstellung ZEITGENOSSEN
am 03. Juli 2011 im Künstlerforum Bonn

Auszug

Zur Bedeutung der Kultur für Europa

Durch die aktuellen Diskussionen und Berichte in den Medien über die Ereignisse in Griechenland wird uns ganz aktuell vor Augen geführt, wie wichtig es ist, die Mechanismen der europäischen Finanzmärkte, der europäischen Wirtschaft oder der europäischen Politik zu begreifen. Wir leben längst in einem europäischen Wirtschaftsraum, in dem wir – in guten wie in schlechten Zeiten – von einander abhängen. Die wirtschaftlichen wie politischen Strukturen machen Europa als Konstruktion „alternativlos“.

Reicht diese Betrachtung aber aus, um Europa zu verstehen? Sie alle hier, so würde ich vermuten, haben innerlich schon ein klares „natürlich nicht!“ formuliert. Ich bin mir aber nicht sicher, ob dass die Antwort ist, die uns nach Börsenschluss in angesagten Lokalen in Frankfurt oder London auf die gleiche Frage gegeben würde.

Mitte der 80er Jahre setzte sich die Erkenntnis durch dass Europäische Integration nicht nur eine Frage von Wirtschaft und Politik ist.  So sagte der ehemalige Kultur- und Bildungsminister Frankreichs, Jack Lang schon 1985: „L’Europe sera culturelle ou ne sera plus!“

Sollte die Europäische Gemeinschaft politisch belastbar sein und den Heraus­forderungen der Zukunft standhalten, musste noch ein weiteres konstitutives Element hinzukommen: ein europäisches Bürgerbewusstsein.

Ein solches Bewusstsein ist wesentlicher Aspekt bei der Entstehung einer europä­ischen Identität und letztlich ein Kultur- und Bildungsfaktor: Europäer ist man nicht von Geburt, sondern durch Bildung (Olaf Schwencke)

Mit Maastricht (1992) und seiner Fortschreibung im Vertrag von Amsterdam (1997) erhielt die Europäische Gemeinschaft ein neues Profil und wurde „mit Leben und Geist erfüllt“ (Jacques Delors). Der anfangs fast ausschließlich wirtschaftlich orientierte Zusammenschluss euro­päischer Staaten ist damit zu einer Europäischen Union geworden. So soll neben der Wirtschafts- und Währungsunion auch eine Werte- und Kulturgemeinschaft entstehen. Denn anders als eine politische Struktur impliziert Kultur immer die Gesamtheit der Sinnzusammenhänge einer Gemeinschaft.

Hierzu gibt es ein wunderbares Beispiel: 1972 wurde das Haupt­thema des letzten Satzes der 9. Sin­fonie von Ludwig van Beethoven offiziell zur Europahymne bestimmt und 1985 von der Europäischen Gemeinschaft als deren offizielle Hymne angenommen. In der Begründung heißt es „sie versinnbildliche die Werte, die alle teilen, sowie die Einheit in der Vielfalt“.

Die Verständigung zwischen den Menschen aus verschiedenen Kulturen, meine Damen und Herren, gelingt besonders gut über die Künste. Denn die Künste sind eine universelle Sprache, in denen die Menschen auf der ganzen Welt ihren Sehnsüchten, Ängsten und Emotionen Ausdruck verleihen. Wie auch Beethoven in seiner 9. Sinfonie der von Schiller der in der „Ode an die Freude“ in deutscher Sprache formulierten Hoffnung eine weitere, eine musikalische Verständnisebene hinzufügt.

Die Künste reflektieren aber auch gesellschaftliche Wirklichkeit und die geistige Haltung von Gesellschaft und Individuen.

Integration, meine Damen und Herren, setzt voraus, dass man den anderen versteht, Unterschiede wie Gemeinsamkeiten erkennt und letztere zur Basis für ein gedeihliches Miteinander macht. Ein gemeinsames Bewusstsein für „die Werte, die alle teilen“ und für „die Einheit in der Vielfalt“ entwickelt. Und dieser Europäische Gedanke braucht Menschen, die ihn in allen Europäischen Ländern denken und leben.

Mit inzwischen 27 Mitgliedsstaaten und rd. 500 Millionen Einwohnern ist die Europäische Union ein multikulturelles Gebilde, das den Dialog zwischen den Kulturen dringend benötigt. Die Zahl der Sprachen, der Glaubensbekenntnisse sowie der ethnischen und kulturellen Hinter­gründe innerhalb der EU hat noch einmal deutlich zugenommen. Ein europäisches Bürgerbewusstsein und eine europäische Identität, in der die kulturelle Vielfalt ihren Platz hat, sind nicht ohne die Kenntnis des „Anderen“ denkbar.

Und da Kultur und Integration nationalstaatlich geregelte Angelegenheiten sind, kann die Europäische Union auf diesen Feldern nur unter­stützend tätig werden. Und im föderalen System Deutschlands sind wir schnell in den Kommunen angekommen. Diese aber sind mit ihren fast schon „traditionell defizitären“ Haushalten gezwungen, sich auf das Wesentliche zu beschränken, und das ist – gerade weil die europäische Identität noch nicht sehr ausgeprägt ist – immer noch nicht das Bemühen um die europäische Integration. An dieser Sichtweise würde ich gerne im Rahmen der Erarbeitung des Kulturkonzeptes etwas ändern.

Aber die Kultur ist traditionell ein Bereich der Gesellschaft, der stark von bürger­schaftlichem Engagement getragen wird. So sind es auch Vereine, die den Europäischen Gedanken in Deutschland in besonderer Weise leben.

Zu diesen Vereinen zählt auch ArtDialog. Im Juli 2002 von Bonner Bürgern als gemeinnützige Gesellschaft zur Förderung der europäischen Integration gegründet, betrachtet ArtDialog bürgerschaftliches Engagement für die Kunst ausdrücklich als eine Aufgabe von wachsender gesellschaftlicher Bedeutung für Europa.

Und dieser Aufgabe widmen Sie sich, sehr geehrter Herr Dr. Dinkloh, sehr geehrte Frau Dr. Miksche, mit bewundernswertem Engagement und hoher fachlicher Kompetenz.

Dabei legen Sie neben den Ausstellungsprojekten auch großen Wert auf die unmittelbare Begegnung. Dialog also nicht nur im übertragenen Sinne als Verbindung zweier unterschiedlicher Positionen in der Bildenden Kunst, sondern auch ganz konkret als Gespräch. Ihr Kulturtisch, zu dem Sie jeden letzten Donnerstag im Monat einladen, bietet ein Forum sich mit Themen aus Gesellschaft und Kultur zu beschäftigen. (Und ich verspreche Ihnen, sobald die Ratstermine für das nächste Jahr festgelegt sind, sage ich Ihnen, an welchem letzten Donnerstag ich mich zu Ihnen an den Kulturtisch setzen kann!)

Nicht unerwähnt lassen möchte ich die von Ihnen zu jeder Ausstellung hinzu gestellten Veranstaltungen und Workshops, die die Vielfältigkeit der europäischen Kultur auch anhand der anderen Künste auf überzeugende Art veranschaulicht. Meinen ausdrücklichen Dank dafür!

Martin Schumacher
Kulturdezernent der Bundesstadt Bonn